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Literaturabend: Marie Luise Kaschnitz PDF Drucken E-Mail
Montag, 29. September 2014

thumb_kaschnitz_aufzeichnungen_coverLiteraturabend am Mittwoch, 1. Oktober 2014, 19 Uhr

Anlässlich des 40. Todestages am 10. Oktober: Zu Leben und Werk der deutschen Autorin (1901-1974)

Bibliothek Gleichgewicht

Hauptstr. 13, 2265 Drösing

Siehe auch Eintrag im Blog des Driesch Verlags

Marie Luise Kaschnitz, eigentlich Marie Luise Freifrau Kaschnitz von Weinberg; geborene Freiin von Holzing-Berstett (* 31. Januar 1901 in Karlsruhe; † 10. Oktober 1974 in Rom) war eine deutsche Schriftstellerin.

Eintrag Wikipedia

 

Aus dem Buch STEHT NOCH DAHIN (1970): 

 

Steht noch dahin

Ob wir davonkommen ohne gefoltert zu werden, ob wir eines natürlichen Todes sterben, ob wir nicht wieder hungern, die Abfalleimer nach Kartoffelschalen durchsuchen, ob wir getrieben werden in Rudeln, eit hsnrn's gesehen. Ob wir nicht noch die Zellenklopfsprache lernen, den Nächsten belauer, vom Nächsten belauert werden, und bei dem Wort Freiheit weinen müssen. Ob wir uns fortstehlen rechtzeitig auf ein weißes Bett oder zugrunde gehen am hundertfachen Atomblitz, ob wir es fertigbringen mit einer Hoffnung zu sterben, steh noch dahin, steht alles noch dahin.

 

Ein Hinterwäldler

Ein Hinterwäldler, wenn es noch einen gäbe, würde stauenen, käme er in unsere Stadt. Bei uns filmt jeder jeden, jeder hält jedem ein Mikrophon entgegen, jeder fragt jeden aus. jeder weiß alles, etwa über Mexiko oder havanna, jeder kann in wenigen Stunden jeden Ort auf der Erde erreichen. Bei öffentlichen Veranstaltungen werden statt Gedichten Auszüge aus dem Telefonbuch vorgelesen, zum Beispiel der Abschnitt A-B. Auf einer Wiese sähe der Hinterwäldler eine phallische Wurst aus Luft aufgerichtet, im Museum träfe er auf Gripsfrauen, die an Nähmaschinen sitzen oder im Handwaschbecken ihre Füße waschen. In Tanzloklane würde er mit Lichtblitzen und auf der Straße mit Schimpfreden überschüttet, die aber nicht ihm gelten, nur wenn er richtig hinört, doch auch ihm.

 

Das letzte Buch

Das Kind kam heute spät aus der Schule heim. Wir waren im Museum, sagte es. Wir haben das letzte Buch gesehen. Unwillkürlich blickte ich auf die lange Wand unseres Wohnzimmers, die früher einmal mehrere Regale voller Bücher verdeckt haben, die aber jetzt leer ist und weiß getüncht, damit das neue plastische Fernsehen darauf erscheinen kann. Ja und, sagte ich erschrocken, was war das für ein Buch? Eben ein Buch, sagte das Kind. Es hat einen Deckel und einen Rücken und Seiten, die man umblättern kann. Und was war darin gedruckt, frage ich. Das kann doch nicht wissen, sagte das Kind. Wir durften es nicht anfassen. Es liegt unter Glas. Schade, sagte ich. Aber das Kind war schon weggesprungen, um an den Knöpfen des Fernsehapparates zu drehen. Die große weiße Wand fing sich an zu beleben, sie zeigte eine Herde von Elefanten, die im Dschungel eine Furt durchquerten. Der trübe Fluß schmatzte, die eingeborenen Treiber schrien. Das Kind hockte auf dem Teppich und sah die riesigen Tiere mit Entzücken an. Was kann da schon drinstehen, murmelte es, in so einem Buch. 

 

Man vergleiche einen kurzen Text von Paul Valéry (1871-1945), der noch früher die Vision der Allverfügbarkeit, noch radikaler als die Gedanken über das plastische Fernsehen von Kaschnitz, visionierte. Aber beiden unterliegt das Verständnis einer Chimäre, einer Täuschung, eines Irrtums:

"Man muß damit rechnen, daß so bedeutsame Neuerungen die ganze Technik der Künste umwandeln, damit auf den schöpferischen Vorgang selbst wirken - so sehr, daß sie vielleicht in erstaunlicher Weise bestimmen könnten, was künftig unter Kunst zu verstehen sein wird.
(...) Die Werke werden zu einer Art von Allgegenwärtigkeit gelangen. Auf unseren Anruf hin werden sie überall und zu jeder Zeit gehorsam gegenwärtig sein oder sich neu herstellen. Sie werden nicht mehr nur in sich selber da sein - sie alle werden dort sein, wo ein Jemand ist und ein geeignetes Gerät. Sie werden nur mehr etwas wie Quellen oder Wurzelstöcke sein, und ihre Gaben werden sich ungeschmälert überall einfinden oder neu befinden, wo man sie wird haben wollen. Wie das Wasser, wie das Gas, wie der elektrische Strom von weit her in unseren Wohnungen unsere Bedürfnisse befriedigen, ohne daß wir mehr dafür aufzuwenden hätten als eine so gut wie nicht mehr meßbare Anstrengung, so werden wir mit Hör- und Schaubildern versorgt werden, die auf eine Winzigkeit von Gebärde, fast auf ein bloßen Zeichen hin entstehen und vergehen. Wie wir gewohnt - wenn nicht gar abgerichtet - sind, ins Haus die Energie in verschiedenster Gestalt geliefert zu erhalten, so werden wir es ganz natürlich finden, dort jene sehr geschwinden Wechselbilder oder auch Schwingungen zu bekommen oder in Empfang zu nehmen, aus denen unsere Sinnesorgane, die sie aufnehmen und zu Einheiten zusammenfassen, alles machen, was wir wissen."

 

Was wir noch können

Was ist, was sein wird, womöglich sein wird, und daß wir solche Dinge wahrnehmen und beklagen, Grausamkeiten noch wahrnehmen und beklagen, Ungerechtigkeiten noch wahrnehmen und beklagen, während es doch denkbar wäre, eine Zeit denkbar wäre, in der wir umherkriechen empfindungslos, in der uns nichts mehr angeht, unter die Haut geht, neben uns schreit ein Sterbender und wir wenden den Kopf nicht, neben uns wird ein Kind gegen eine mauer geschleudert und wir erschrecken nicht. Demgegenüber scheint auf jeder noch so bescheidenen Anteilnahme, jedem noch so billigen Erbarmen der Schimmer eines goldenen Zeitalters zu liegen. Wir können noch sehen, wir können noch hören, wir können noch leiden, noch lieben. 

 

Aus dem Gedichtband DEIN SCHWEIGEN MEINE STIMME (Gedichte1958-1961) (1962):

Schreibend

Schreibend wollte ich
Meine Selle retten.
Ich versuchte Verse zumachen
Es ging nicht.
Ich versuchte Geschichten zu erzählen
Es ging nicht.
Man kann nicht schreiben
Um seine Seele zu reteten.
Die aufgegebene treibt dahin und singt.

 

Ein Gedicht

Ein Gedicht, aus Worten gemacht.
Wo kommen die Worte her?
Aus den Fugen wie Asseln,
Aus dem Maistrauch wie Blüten,
Aus dem Feuer wie Pfiffe,
Was mir zufällt, nehm ich.

Es zu kämmen gegen den Strich,
Es zu paaren widernatürlich,
Es nackt zu scheren,
in Lauge zu waschen
Mein Wort.

Meine Taube, mein Fremdlich.
Von den Lippen zerrissen,
Vom Atem gestoßen,
In den Flugsand geschrieben

Mit seinesgleichen
Mit seinesungleichn

Zeile für Zeile,

Zeile für Zeile
Mein Paradies.

 

 

 

(MyPersonalContent v1.3 © Rico Pinzke)
 
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